Berner Zeitung 17.12.2015

«Halleluja, Alleluja»

Das Berner Schlachthaus Theater zeigt Michael Fehrs Debüt «Kurz vor der Erlösung». Matterhorn Produktionen verwandelt die skurrile Weihnachtsgeschichte des Berners in eine Folge von bewegten Klangtableaus.

Anna Sophie Scholl

Die Kirchenglocken sind für ihn ein untrügliches Zeichen. Die Hauswand entlang hat er sich angeschlichen, hat die Stalltür aufgeschlagen, dort sah er sie, asylsuchende Zigeuner – eine Art neuzeitliche Josef und Maria. «Magdalena», schreit er zurück ins Haus: «Wir wollen schiessen/rüste dich/armiere dich/Alarm/ich schlage Alarm/ich alarmiere dich/rüste das Armierungseisen/also das Schiesseisen/also das Schiessgewehr.»

Nahezu unbewegt steht er da, der Bauer mit seiner «kardinalsroten» Mütze, und schickt die Wortkaskaden in den Bühnenraum. Es ist der «erste Satz» von Michael Fehrs aufsehenerregendem Debüt «Kurz vor der Erlösung». Die Truppe Matterhorn Produktionen unter der Regie von Ursina Greuel hat den Text auf die Bühne gebracht. Nach Stationen in Chur, Luzern und Basel zeigt sie ihre Bühnenadaption ab Freitag viermal in Bern.

Echoräume und Klangtürme

Der Text des heute 33-jährigen Autors ist eine eigenwillige Interpretation der Weihnachtsgeschichte, die er nach musikalischen Prinzipien umsetzt. Ob Bauer oder Müller, König oder Fusssoldat, Fischer und Säufer, Familie, Musikgruppe bis hin zum Pastor: In siebzehn Variationen lässt er menschliches Suchen und Irren in Glockengeläut aufgehen. Und in jedem dieser siebzehn «Sätze» schraubt sich die Sprache an charakteristischen Klang- und Sinnverwandtschaften empor. Der Autor formt Echoräume und Klangtürme, wie in einem Musikstück. Es klingt bald verspielt, bald skurril, bald abgründig.

Regisseurin Ursina Greuel ist mit Fehrs Text bestens vertraut. Neben der Theaterarbeit fungiert sie als Mitherausgeberin der Reihe Spoken Script, die mündliche Texte in Buchform publiziert. In dieser Reihe hat sie Fehrs Debüt vor rund drei Jahren auf den Weg gebracht.

Dass der Text die Theaterfrau nun selber reizt, erstaunt nicht: Michael Fehrs plastischer Umgang mit Sprache schreit geradezu nach der Bühne. Trotzdem war das Risiko da: Würde die visuelle Umsetzung dem Text die Stange halten können? Und: Kann sie einen Mehrwert bieten? Vorsichtig nennt die Truppe ihre Performance denn auch «Sprechora­torium».

Bewegte Tableaus

Nur sparsam mimen die fünf Schauspieler die Inhalte, ihre Umsetzung gleicht eher bewegten Tableaus, die mithilfe von wechselnder Lichttemperatur, sparsamen Requisiten, virtuos modulierter Sprache oder repetitiven Bewegungen den Charakter des Textes grundieren. So steigt ein Mann mit «grünlich grauem oder gräulich grünen» Jägerhut auf den angedeuteten Hochstand, später klettert eine Fernsehmoderatorin im Glitzerkleid die Leiter wieder herab, andere Figuren ziehen einen Kreis.

Ein gelungener Kunstgriff ist es, wenn die Schauspieler den Text im Duett rezitieren. So etwa, als die beiden Frauen (Fabienne ­Hadorn, Franziska von Fischer) sprechend die Männer umgarnen: drei stoische Figuren (Kri­shan Krone, Michael Wolf, Markus Mathis) am Stammtisch, dessen speckschwartigen Glanz Fehr sprachmächtig feiern lässt.

Die Truppe ist mit einer musikalischen Arbeitsweise vertraut. Fein ausbalanciert torkeln Bewegungsbilder, Wortsinn und Klang auf den fulminanten Schluss­akkord zu: die harmonische «Erlösung» des Glockengeläuts und des «Halleluja, Alleluja». Jedoch: Den Schlussakkord findet der Pastor nicht.

(Berner Zeitung)